In der ersten Nacht lag ich lange wach, obwohl ich mich vor Erschöpfung kaum bewegen konnte. Die Stille war mir fremd, ich wartete auf vertraute Geräusche. Autohupen, Musik, Lärm aus dem Nachbarzimmer. Nichts.
Vor zwei Tagen habe ich Eric in Yangon kennengelernt. Gestern bin ich mit seiner Nichte Zoe und deren Onkel nach Yenangyaung gefahren. Einem vergessenem Dorf mitten in der Dry Zone von Myanmar, unfreiwillig aus der Zeit ausgestiegen.
Eric erklärt mir, dass Yenangyaung früher eine wohlhabende Stadt war. Berühmt für seine zahlreichen Öl- und Gasvorkommen und bekannt durch den Streik gegen den britischen Industriegasehersteller. Während den Protestbewegungen 1988 war Yenangyaung die letzte Stadt Myanmars, die vor der Übermacht des Militärs kapitulierte. Seither wird es von der Regierung ausgegrenzt und ist Heimat einer der ärmsten Bevölkerung des Landes.
Der Himmel am ersten Tag ist blau und wolkenlos. Zoe nimmt mich heute mit zu den Kindern, sie alle leben bei Verwandten. Mit dem Fahrrad geht es vorbei an verfallenen Häusern, ärmlichen, meist fensterlosen Hütten. Die Leute aus dem Dorf winken uns freundlich zu. Dann beleiben wir stehen vor einer schiefen Hütte, aus getrockneten Blättern geflochten. Es laufen mehrere Hühner umher, unter dem Nachbarhaus wühlt ein Schwein. Die Hütte muss noch bis zum Monsun repariert werden, in ihr leben zwei Geschwister mit ihrer Mutter, sie wurden erst kürzlich ins Projekt aufgenommen. Die Kinder erkennen Eric’s Nichte schon von Weiten und rennen auf uns zu. Behutsam legt sie ihre Hand auf deren Schultern und fragt nach, wie es Ihnen geht. Sie besucht alle Kinder einmal die Woche, jeden Tag ein anderes Quatier, damit sie wissen, dass sie nicht vergessen gehen.
In den darauffolgenden Tagen zeigt Eric mir die neu errichteten Trinkwasserbrunnen in der Umgebung. Die Lei Thar Gone Foundation hilft nicht nur den Waisenkindern, deren Familienangehörigen und den hilfsbedürftigen älteren Menschen, auch die anderen Familien im Dorf profitieren vom sauberem Trinkwasser.
Am Samstag werden alle Kinder für den Englischunterricht von Erics Neffe abgeholt. Sie haben dafür einen eigenen Schulraum eingerichtet. Die Kinder erscheinen in ihren besten Sonntagskleider. Die Stimmung unter den rund 50 Kindern zwischen vier und neunzehn Jahren ist ausgelassen. Alle freuen sich auf den Tag, auf die anderen Kinder, den Unterricht und das wohlschmeckende Mittagessen.
Einmal im Monat findet kein Unterricht statt. Am letzten Wochenende meines Aufenthaltes beladen wir den weissen Pick Up mit Grundnahrungsmitteln und Pflegeprodukten. Jedes Kind, jede Familie erhält zwölf Produkte, das Nötigste zum Überleben. Alles ist gut organisiert und klappt reibungslos. Die Kinder, die ich bereits aus Besuchen und der Schule kenne, laufen uns mit breitem Lachen entgegen. Sie helfen uns dabei, das Essen in ihren Hütten zu verstauen. Ich freue mich sie wieder zu sehen und glaube, sie freuen sich auch.
Nur wenige Tage vor der Ankunft in Myanmar habe ich von Eric und seiner Foundation erfahren. Als ich mich dann mit Eric in Yangon traf, hat er mir vorgeschlagen, als Voluntärin in Yenangyaung Englisch zu unterrichten. Spontan habe ich meine Pläne für die bevorstehende Myanmar-Reise über den Haufen geworfen und Eric zugesagt. Und heute weiss ich, dies war die beste Entscheidung, die ich je hätte treffen können.
Eric ist schon vor vielen Jahren in seine Heimatstadt nach Yenangyaung zurückgekehrt. Um den Kindern zu helfen, die ihre Eltern verloren haben. Um die alten Menschen zu unterstützen, die alleine sind. Um Ihnen ein Leben zu ermöglichen. Mit grenzenloser Fürsorge schenkt er Ihnen Hoffnung für eine bessere Zukunft. Jeden Tag sind Eric, seine Familie und die Angestellten von Lei Thar Gone für diese Kinder da. Diese Liebe ist bedingungslos.
Am letzten Abend setze ich mich zur Dämmerung auf den weissen Schaukelstuhl am Rande des Felsens neben dem Gasthaus. Jeden Abend der letzten drei Wochen verbrachte ich an diesem magischen Ort. Von hier aus hat man eine atemberaubende Aussicht über die Weiten der Irrawaddy Ebene. Nur das leise Rascheln der Blätter im Wind ist zu hören. Die Stille ist mir nicht mehr fremd. Ein kleiner Sandsturm zieht über die Felder. Hinter den Bergen verschwindet langsam die rot glühende Sonne. Das ist also Myanmar, beschenkt durch die einzigartige Schöpfung, beraubt durch die eigene Regierung. Ich lasse die Erlebnisse und Eindrücke nochmals an mir vorbeiziehen und komme zu einem Fazit. „Ich war nicht hier um zu helfen. Ich war hier, um zu lernen.“
Am nächsten Morgen verabschiede ich mich von allen. Eileen überreicht mir ein selbstgemachtes Abschiedsgeschenk, eine Halskette aus farbigen Perlen. Eric und Zoe bringen mich zum Bus. Eine Frau fragt mich, ob ich ihre zwei alleinreisenden Kinder bis nach Yangon begleite. Sie zwängen sich auf den engen Sitz neben mir. Der Bus fährt mit offenen Fenstern los. Und draussen zieht Myanmar an uns vorbei, eines der schönsten Länder, die ich kenne.
Evelyn Siegenthaler, März 2012
„You are not a man until you give your love, truly and freely to a child. And you are not a good man until you earn the love, truly and freely, of a child in return” Gregory D. Roberts
In der ersten Nacht lag ich lange wach, obwohl ich mich vor Erschöpfung kaum bewegen konnte. Die Stille war mir fremd, ich wartete auf vertraute Geräusche. Autohupen, Musik, Lärm aus dem Nachbarzimmer. Nichts.
Vor zwei Tagen habe ich Eric in Yangon kennengelernt. Gestern bin ich mit seiner Nichte Zoe und deren Onkel nach Yenangyaung gefahren. Einem vergessenem Dorf mitten in der Dry Zone von Myanmar, unfreiwillig aus der Zeit ausgestiegen.
Eric erklärt mir, dass Yenangyaung früher eine wohlhabende Stadt war. Berühmt für seine zahlreichen Öl- und Gasvorkommen und bekannt durch den Streik gegen den britischen Industriegasehersteller. Während den Protestbewegungen 1988 war Yenangyaung die letzte Stadt Myanmars, die vor der Übermacht des Militärs kapitulierte. Seither wird es von der Regierung ausgegrenzt und ist Heimat einer der ärmsten Bevölkerung des Landes.
Der Himmel am ersten Tag ist blau und wolkenlos. Zoe nimmt mich heute mit zu den Kindern, sie alle leben bei Verwandten. Mit dem Fahrrad geht es vorbei an verfallenen Häusern, ärmlichen, meist fensterlosen Hütten. Die Leute aus dem Dorf winken uns freundlich zu. Dann beleiben wir stehen vor einer schiefen Hütte, aus getrockneten Blättern geflochten. Es laufen mehrere Hühner umher, unter dem Nachbarhaus wühlt ein Schwein. Die Hütte muss noch bis zum Monsun repariert werden, in ihr leben zwei Geschwister mit ihrer Mutter, sie wurden erst kürzlich ins Projekt aufgenommen. Die Kinder erkennen Eric’s Nichte schon von Weiten und rennen auf uns zu. Behutsam legt sie ihre Hand auf deren Schultern und fragt nach, wie es Ihnen geht. Sie besucht alle Kinder einmal die Woche, jeden Tag ein anderes Quatier, damit sie wissen, dass sie nicht vergessen gehen.
In den darauffolgenden Tagen zeigt Eric mir die neu errichteten Trinkwasserbrunnen in der Umgebung. Die Lei Thar Gone Foundation hilft nicht nur den Waisenkindern, deren Familienangehörigen und den hilfsbedürftigen älteren Menschen, auch die anderen Familien im Dorf profitieren vom sauberem Trinkwasser.
Am Samstag werden alle Kinder für den Englischunterricht von Erics Neffe abgeholt. Sie haben dafür einen eigenen Schulraum eingerichtet. Die Kinder erscheinen in ihren besten Sonntagskleider. Die Stimmung unter den rund 50 Kindern zwischen vier und neunzehn Jahren ist ausgelassen. Alle freuen sich auf den Tag, auf die anderen Kinder, den Unterricht und das wohlschmeckende Mittagessen.
Einmal im Monat findet kein Unterricht statt. Am letzten Wochenende meines Aufenthaltes beladen wir den weissen Pick Up mit Grundnahrungsmitteln und Pflegeprodukten. Jedes Kind, jede Familie erhält zwölf Produkte, das Nötigste zum Überleben. Alles ist gut organisiert und klappt reibungslos. Die Kinder, die ich bereits aus Besuchen und der Schule kenne, laufen uns mit breitem Lachen entgegen. Sie helfen uns dabei, das Essen in ihren Hütten zu verstauen. Ich freue mich sie wieder zu sehen und glaube, sie freuen sich auch.
Nur wenige Tage vor der Ankunft in Myanmar habe ich von Eric und seiner Foundation erfahren. Als ich mich dann mit Eric in Yangon traf, hat er mir vorgeschlagen, als Voluntärin in Yenangyaung Englisch zu unterrichten. Spontan habe ich meine Pläne für die bevorstehende Myanmar-Reise über den Haufen geworfen und Eric zugesagt. Und heute weiss ich, dies war die beste Entscheidung, die ich je hätte treffen können.
Eric ist schon vor vielen Jahren in seine Heimatstadt nach Yenangyaung zurückgekehrt. Um den Kindern zu helfen, die ihre Eltern verloren haben. Um die alten Menschen zu unterstützen, die alleine sind. Um Ihnen ein Leben zu ermöglichen. Mit grenzenloser Fürsorge schenkt er Ihnen Hoffnung für eine bessere Zukunft. Jeden Tag sind Eric, seine Familie und die Angestellten von Lei Thar Gone für diese Kinder da. Diese Liebe ist bedingungslos.
Am letzten Abend setze ich mich zur Dämmerung auf den weissen Schaukelstuhl am Rande des Felsens neben dem Gasthaus. Jeden Abend der letzten drei Wochen verbrachte ich an diesem magischen Ort. Von hier aus hat man eine atemberaubende Aussicht über die Weiten der Irrawaddy Ebene. Nur das leise Rascheln der Blätter im Wind ist zu hören. Die Stille ist mir nicht mehr fremd. Ein kleiner Sandsturm zieht über die Felder. Hinter den Bergen verschwindet langsam die rot glühende Sonne. Das ist also Myanmar, beschenkt durch die einzigartige Schöpfung, beraubt durch die eigene Regierung. Ich lasse die Erlebnisse und Eindrücke nochmals an mir vorbeiziehen und komme zu einem Fazit. „Ich war nicht hier um zu helfen. Ich war hier, um zu lernen.“
Am nächsten Morgen verabschiede ich mich von allen. Eileen überreicht mir ein selbstgemachtes Abschiedsgeschenk, eine Halskette aus farbigen Perlen. Eric und Zoe bringen mich zum Bus. Eine Frau fragt mich, ob ich ihre zwei alleinreisenden Kinder bis nach Yangon begleite. Sie zwängen sich auf den engen Sitz neben mir. Der Bus fährt mit offenen Fenstern los. Und draussen zieht Myanmar an uns vorbei, eines der schönsten Länder, die ich kenne.
Evelyn Siegenthaler, März 2012
„You are not a man until you give your love, truly and freely to a child. And you are not a good man until you earn the love, truly and freely, of a child in return” Gregory D. Roberts